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Pendel-Echappement mit vollkommen freiem Pendel, System Riefler
Dieses von S. Riefler, Ingenieur und Fabrikbesitzer in München erfundene, für Präzisions-Pendel¬uhren aller Art geeignete Echappement bezweckt die Erreichung einer größeren Genauigkeit des Uhrganges, als sie die bisherigen Echappements gewähren. Bei demselben schwingt das Pendel vollkommen frei, da es mit dem Uhrwerk nur durch die Aufhängefeder in Verbindung ist, durch welche es auch den Antrieb erhält. Der Antrieb erfolgt dadurch, dass die Aufhängefeder bei jeder Pendelschwingung durch das Räderwerk eine kleine Biegung erfährt und hierdurch ein wenig gespannt wird. Diese Spannkraft der Pendelfeder gibt dem Pendel den Antrieb. Da diese Biegung um eine Achse erfolgt, welche mit. der Schwingungsachse des Pendels zusammenfällt und außerdem jedesmal nahezu in dem Moment eintritt, in welchem das Pendel durch die Ruhelage hindurch schwingt, so ist außer der vollkommenen Freiheit des Pendels auch noch der große Vorteil erreicht, dass Ungleichheiten in der Kraftzufuhr vom Räderwerk, sowie in den Auslösungswiderständen keinen nachteiligen Einfluss auf die Gleichförmigkeit des Uhrganges haben, was sowohl theoretisch begründet, als auch durch den ausgezeichneten Gang zahlreicher, mit diesem Echappement ausgeführter astronomischer Uhren, Turmuhren und anderen Uhren praktisch erwiesen ist.
In den Zeichnungen stellt Nr. 124 die Vorder-, Nr. 125 die Seitenansicht des Echappements im Maßstab 5 : 6 dar, wie dasselbe für astronomische Uhren ausgeführt wird. In der Anwendung für Turmuhren sind die Dimensionen der einzelnen Teile etwas größer gewählt. TT ist ein an der rückseitigen Werkplatine W der Uhr durch 4 Schrauben uu festgeschraubter kräftiger Träger aus Metallguss, in welchem die Lagersteine PP befestigt sind, deren ebene Oberflächen zusammen eine horizontale Ebene bilden. Auf dieser Ebene liegt die Drehungsachse aa des Ankers A, welche durch die Messerschneiden der Stahlprismen cc gebildet ist. Die für den ordnungsgemäßen Eingriff des Ankers in die Gangräder H und R erforderliche Richtung erhält die Drehungsachse des Ankers durch die Körnerspitzen der Schrauben KK1, welche jedoch, wenn das Pendel B eingehängt ist, ein wenig zurückgeschraubt werden, damit sie das freie Spiel des Ankers nicht beeinträchtigen. FF1 ist die auf das Ankerstück A1A1 aufgesetzte Pendelaufhängung mit der Pendelfeder ii, deren Biegungsachse genau mit der Drehungsachse aa des Ankers zusammenfällt. Das Gangrad ist ein Doppelrad und besteht aus dem Hebungsrad H und denn etwas größeren Ruherad R. Die Zähne hh1 des ersteren bewirken mit ihren schrägen Flächen die Hebung, die Zähne rr1 des letzteren bilden mit ihren radialen Flächen die Ruhen. S und S1 sind die Hebe- und zugleich Ruhepaletten des Ankers. Dieselben sind zylindrisch und am vorderen Ende bis zur Mitte der Zylinderachse abgeflacht. An der Zylinderfläche findet die Hebung des Ankers durch die Zähne des Hebungsrades H statt, an den ebenen Flächen erfolgt die Ruhe durch die Zähne des Ruherades R. Das Spiel des Echappements ist folgendes:
Nr. 124 stellt dasselbe im Moment dar, in welchem das Pendel in der Ruhelage ist und der Zahn r des Ruherades auf der ebenen Fläche der Palette S aufruht. Schwingt nun das Pendel in der Richtung des Pfeiles nach links aus, so bleibt die Pendelfeder ii zunächst noch gerade gestreckt und die Schwingung findet anfänglich um die Schneidenachse aa des Ankers statt. Der Anker A wird, weil er durch die Pendelfeder ii mit dem Pendel in Verbindung steht, diese Schwingung des Pendels soweit mitmachen, bis die Zahnspitze des Ruheradzahnes r von der Ruhefläche der Palette S herabfällt. - Das Pendel hat bis dahin einen Bogen (Hebungsbogen) von etwa ¼ ° zurückgelegt. - In diesem Moment ist die Zylinderfläche der Palette S1 an den Hebezahn h des Hebungsrades bis auf die erforderliche Luft (Spielraum) herangerückt, die Räder drehen sich in der Pfeilrichtung bis der Ruhezahn r auf der ebenen Fläche der Palette S1 aufliegt und der Hebungszahn h bewirkt während dieser Drehung die Hebung, d.h. derselbe drängt die Palette S1 zurück und bewegt dadurch den Anker in der der Pendelschwingung entgegengesetzten Richtung. Durch diese vom Räderwerke bewirkte Drehbewegung des Ankers hat die Pendelfeder ii eine kleine Biegung um die Schwingungsachse aa und damit eine geringe Spannung erfahren, welche dem Pendel den Antrieb erteilt. Das Pendel folgt jedoch nicht sofort der antreibenden Kraft, sondern vollendet zunächst noch seine Schwingung nach links, nunmehr um die. Biegungsachse der Pendelfeder schwingend, wobei der Anker in Ruhe bleibt. Der betreffende Ergänzungsbogen beträgt bei astronomischen Uhren 1 bis 1 1/4 ° und bei großen Turmuhren 2 ½ °. Bei der Rückkehr des Pendels wird, nachdem dasselbe die Ruhelage nach rechts überschritten hat, der inzwischen auf S1 aufgeruhte Zahn r1 frei und eine neue Hebung findet auf der anderen Seite durch den Zahn h1 statt.
In der Abbildung sind noch verschiedene kleine Konstruktionsteile sichtbar, welche bisher nicht erwähnt worden sind. Dieselben haben mit der eigentlichen Funktion des Echappements nichts zu tun, sondern sind lediglich Reguliervorrichtungen für die genaue und bequeme Montierung des Echappements. Die konische Schraube v (Nr. 125) dient zur Einstellung der Weite des Ankers, während die Tiefe des Ankereingriffes in die Gangräder durch Schrauben tt eingestellt wird. Durch die Schrauben v1v2 der Pendelaufhängung, welche durch kleine Gegenmutter festgestellt werden können, wird die Höhenlage der Pendelaufhängung eingestellt dergestalt, dass die Biegungsachse der Pendelfeder ii mit der Schneidenachse als der Drehungsachse aa des Ankers zusammenfällt. Zugleich wird durch diese Schrauben auch der gleichmäßige Abfall des Pendels reguliert. Die Lagerschrauben v1v2 der Pendelaufhängung ruhen mit ihren konischen Stirnflächen nicht direkt auf dem Ankerstück A1A2, sondern auf dünnen, mit entsprechenden Vertiefungen versehenen Lagerplättchen pp1i, welche auf das Ankerstück A1A1 aufgeschraubt sind, jedoch einigen Spielraum in den Schraubenlöchern haben. Dadurch kann die genaue Übereinstimmung der Schneidenachse aa mit der Biegungsachse der Pendelfeder in horizontaler Richtung bewirkt werden. 1 und 11 sind eingeschraubte Stahlstifte mit seitlichen Hohlkörnern, in welche die Körnerspitzen der Richtungsschrauben KK1 eingreifen. Die Lagersteine PP ruhen mit ihren Messingfassungen auf je 3 Druckschrauben d auf, welche im Pendelträger T ihre Gewinde haben. Durch die Zugschrauben Z werden sie in der erforderlichen Lage festgehalten.
Wie leicht ersichtlich ist, bestehen die Widerstände, welche durch die Verbindung des Pendels mit dem Uhrwerk auf das Pendel einwirken, nur in der Achsenreibung des Ankers und in dem Auslösungswiderstand, welcher bei dem Herabgleiten der Zähne des Ruherades von den Ruheflächen der Paletten stattfindet. Beide Widerstände sind äußerst gering und überdies von sehr konstanter Größe. Die Achsenreibung des Ankers besteht nur aus der verschwindend kleinen wälzenden Reibung der Stahlschneiden cc auf den vollkommen ebenen und sehr harten Lagersteinen PP. Dieselbe wirkt überdies nur einen kurzen Moment, in welchem das Pendel durch die Ruhelage hindurch schwingt, also in dem nur ½ ° betragenden Teil der Pendelschwingung, in welchem dasselbe die größte Geschwindigkeit besitzt, auf das Pendel ein. Bei dem weitaus größten Teil des Schwingungsbogens schwingt das Pendel um die Achse der Pendelfeder.
Der Auslösungswiderstand auf den Steinpaletten S und S1 ist gleichfalls nahezu Null, weil die Ruheflächen nicht radial gestellt sind, sondern mit dem Radius der Gangräder einen Winkel von etwa 10 bis 12 ° bilden, welcher der Größe des Reibungswinkels zwischen Stein und Messing gleichkommt. Die Paletten sind auf Schub, nicht wie beim Anker der Taschenuhr auf Zug eingestellt. Die Gefahr, einer unzeitigen Auslösung ist dabei ausgeschlossen, weil die Paletten durch die Spannung, welche die Pendelfeder bei dem Aufschwingen des Pendels erfährt, an die Zähne des Hebungsrades angedrückt werden.
Die hauptsächlichsten Eigentümlichkeiten, welche dieses Echappement charakterisieren, sind folgende:
1) Das Pendel schwingt vollkommen frei und unbeeinflusst vom Uhrwerk.
2) Der Pendelantrieb findet in der Schwingungsachse statt; der Antriebhebel hat daher die geringste, irgendwie mögliche Länge. Dieselbe beträgt nur Bruchteile eines Millimeters, da die Biegung der Pendelfeder sich nur über eine so geringe Länge erstreckt.
3) Ungleichheiten in der Kraftzufuhr und in den Auslösungswiderständen haben keinen störenden Einfluss von nennenswerter Größe auf die Gleichförmigkeit des Uhrganges, weil sowohl der Antrieb, als auch die Auslösung nicht nur an einem fast unendlich kurzen Hebel, sondern auch in dem Moment stattfinden, in welchem das Pendel die größte lebendige Kraft besitzt.
4) Der Ergänzungsbogen des Echappements ist bei astronomischen Uhren 3 bis 5 mal und bei Turmuhren 8 bis 10 mal so groß als der Hebungsbogen. Das Pendel ist deshalb in hohem Grade unempfindsam gegen störende Einflüsse mechanischer Art.
5) Die Anzahl der wirkenden Teile des Echappements ist geringer als bei irgend einem der bekannten Echappements. Dasselbe funktioniert daher mit der größten Sicherheit.
(Siehe Abbildungen Nr. 124 und Nr. 125)
Siehe auch: [Quecksilber-Kompensationspendel neuer Konstruktion (System Riefler)] [Riefler, Siegmund]
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